Die Weisheit aus dem Osten: Traditionelle chinesische Medizin

Sabine Schaal, Ärztin für Allgemeinmedizin und ärztliche Psychotherapeutin, ist Expertin für chinesische Medizin. An der TU München hat sie den Master of Science in traditioneller chinesicher Medizin abgelegt und ihre Kenntnisse durch einen dreijährigen Aufenthalt in China vertieft.
Sabine, kannst Du uns die traditionelle chinesische Medizin, die TCM, kurz und knapp erläutern?

Die TCM ist eines der ältes­ten Medi­zin-Sys­te­me in Chi­na mit einem gro­ßen Erfah­rungs­schatz. Anders als in der west­li­chen Medi­zin wer­den Kör­per und Geist als nicht getrennt von­ein­an­der betrach­tet. Der Mensch steht in sei­ner Ganz­heit im Mit­tel­punkt.

Die Ver­bin­dung von west­li­cher und chi­ne­si­scher Medi­zin bie­tet daher eine sehr gute Mög­lich­keit, dem Men­schen indi­vi­du­ell zu hel­fen. Das gilt ins­be­son­de­re bei Sym­pto­men, die in der west­li­chen Medi­zin kei­ne mess­ba­re Dia­gno­se und damit auch kei­ne adäqua­te The­ra­pie fin­den. Bei­de Sys­te­me haben aber natür­lich ihre eige­nen Vor­tei­le. West­li­che Dia­gnos­tik, also mess­ba­re Daten, wer­den durch die TCM mit dem Fokus auf die Ganz­heit­lich­keit des Men­schen ide­al ergänzt.

Wie erklärt sich die TCM Wechseljahresbeschwerden?

Vie­le Frau­en gehen mit einer gro­ßen Unsi­cher­heit in die­se Lebens­pha­se. Sie fra­gen sich ange­sichts der vor­herr­schen­den Schön­heits­dea­le in der Gesell­schaft, ob sie noch attrak­tiv sind und kämp­fen mit man­gel­der Wert­schät­zung im Beruf, aber auch im Pri­vat­le­ben. Dabei ist natür­lich das Gegen­teil der Fall: Rei­fe, Lebens­er­fah­rung und inne­re Weis­heit ent­ste­hen ja eben erst nach einer gewis­sen Weg­stre­cke geleb­ten Lebens. Typi­sche kli­mak­te­ri­sche Beschwer­den wie Hit­ze­wal­lun­gen, Schlaf­lo­sig­keit oder wech­seln­de Stim­mun­gen brin­gen Frau­en in den Wech­sel­jah­ren dann jedoch in kom­ple­xe schwie­ri­ge Lebens­si­tua­tio­nen. Denn nach wie vor wird ja auf vie­len ver­schie­de­nen Ebe­nen viel von ihnen ver­langt.

In der TCM-Phi­lo­so­phie ist der Mensch gesund, wenn der Ener­gie­fluss im Kör­per und Geist aus­ge­gli­chen ist. Unser Chi – etwas unzu­rei­chend über­setzt als Lebens­en­er­gie – fließt nur dann har­mo­nisch, wenn die Balan­ce zwi­schen pola­ren Ener­gien, Yin und Yang-Ener­gien, gege­ben ist. Hier­bei steht Yin für Ruhe, Nacht, Käl­te und Yang steht für Tag, Akti­vi­tät und Wär­me. Gerät die Balan­ce die­ser bei­den Pole ins Ungleich­ge­wicht, ist der Ener­gie­fluss gestört und es ent­ste­hen Dys­har­mo­nien, die sich in vie­ler­lei psy­chi­schen, aber auch phy­si­schen Beschwer­den äußern kön­nen.

Das pas­siert z.B. in den Wech­sel­jah­ren. Vor­über­ge­hend gerät die­ses Sys­tem der Ener­gien in Unord­nung, die Yin-Ener­gie nimmt ab, Yang ist im Über­schuss. Wenn die aus­glei­chen­den Yin-Ener­gien feh­len, kann z.B. eine Yin-Man­gel-Hit­ze ent­ste­hen, was Frau­en dann als Hit­ze­wal­lun­gen wahr­neh­men. Oder als Schlaf­lo­sig­keit oder Stim­mungs­schwan­kun­gen.

Was empfiehlt die TCM bei Wechseljahresbeschwerden – generell und zu bestimmten Symptomen?

In den Wech­sel­jah­ren braucht der Kör­per ins­ge­samt weni­ger Nah­rung, das Ver­dau­ungs­sys­tem kann emp­find­li­cher wer­den. Aber auch die Ener­gien unse­res Chis neh­men ab.

Hier greift die TCM. Ernäh­rungs­wei­se, Aku­punk­tur und Arz­nei­mit­tel­the­ra­pie sind bedeu­ten­de Säu­len in der TCM. Die Behand­lung fußt dabei auf dem Ziel, den Ener­gie­fluss wie­der in Balan­ce zu brin­gen. Dazu gehört eine umfas­sen­de Betrach­tung der Lebens­ge­wohn­hei­ten und der Lebens­wei­sen, z.B. Schlaf, Ruhe­pha­sen, aber auch geziel­te Aus­zei­ten oder Akti­vi­tä­ten – all das dient der Erhal­tung der Ener­gie­ba­lan­ce.

Es ist wich­tig zu beto­nen: Behan­delt wird immer der gan­ze Mensch, die gan­ze Frau. Nicht ein ein­zel­nes Sym­ptom. Daher gibt es in der TCM auch kei­ne all­ge­mein gül­ti­gen Emp­feh­lun­gen, was z.B. bei Hit­ze­wal­lun­gen oder Gelenk­be­schwer­den hilft.

Wenn ich mich für TCM-Prinzipien interessiere, kann ich mir auch selbst etwas Gutes tun oder brauche ich dazu immer eine Therapeutin? Und wo finde ich gute Therapeut:innen?

Natür­lich kann sich jede Frau mit den grund­le­gen­den Ernäh­rungs- und Bewe­gungs­prin­zi­pi­en beschäf­ti­gen und davon pro­fi­tie­ren. Dazu gibt es heut­zu­ta­ge auch gute Quel­len zum The­ma TCM und Wech­sel­jah­re, über die man sich infor­mie­ren kann. Nicht zuletzt, weil das The­ma Wech­sel­jah­re ja ins­ge­samt viel sicht­ba­rer gewor­den ist – dank vie­ler Initia­ti­ven, so auch von Frau im Wech­sel.

Soll­te eine Frau jedoch den Wunsch haben, sich mit TCM behan­deln zu las­sen, dann wür­de ich immer einen Exper­ten oder eine Exper­tin auf­su­chen. TCM ist eine kom­ple­xe Behand­lungs­wei­se, die schon jeman­den ver­langt, der eine fun­dier­te Aus­bil­dung hin­ter sich gebracht hat. Zu Beginn der Behand­lung wird – wie auch in der Schul­me­di­zin — zunächst eine Ana­me­se gemacht, eine Dia­gnos­tik erho­ben. Das sind in der TCM z.B. die Zun­gen­be­trach­tung, die Puls- oder Anlitz­dia­gnos­tik, das Gespräch. Ein Ana­me­se-Ter­min dau­ert gut eine bis ein­ein­halb Stun­den. Dar­auf auf­bau­end wer­den dann die indi­vi­du­el­len The­ra­pien zusam­men­ge­stellt. Das ver­langt schon ein soli­des Wis­sen.

Man kann sich bei der Suche nach einer guten Behand­lungs­mög­lich­keit an den Ver­bän­den für TCM ori­en­tie­ren. Ich wür­de mir auch immer jeman­den aus­su­chen, der einen ärzt­li­chen oder gut aus­ge­bil­de­ten Heil­prak­ti­ker-Hin­ter­grund hat. Denn trotz der Tat­sa­che, dass es sich um eine sanf­te Medi­zin han­delt, ist es eine Medi­zin und die gehört in erfah­re­ne Hän­de.

Wie schnell hilft die TCM bei Wechseljahresbeschwerden?

Das Ziel der TCM-Behand­lung ist die lang­fris­ti­ge Gesund­heits­er­hal­tung. Aber ich erle­be auch häu­fig, dass eine Ände­rung der Lebens­ge­wohn­hei­ten, der Ernäh­rung oder die Ein­nah­me chi­ne­si­scher medi­zi­ni­scher Prä­pa­ra­te schon kurz­fris­tig eine deut­li­che Ver­bes­se­rung mit sich bringt.

TCM scheint eine komplexe Behandlungsmethode zu sein. Was kann man selbst machen, um die Behandlung zu unterstützen?

Auf alle Fäl­le ist es sinn­voll, auf sich selbst zu ach­ten, sich selbst wert­zu­schät­zen. Auf sich selbst zu hören, was tut mir gut, was nicht – und dass dann auch umzu­set­zen. Dazu gehört z.B. auch die Bezie­hun­gen zu mei­nen Mit­men­schen zu betrach­ten oder zu ler­nen, sich abzu­gren­zen, eben auch mal nein sagen. Das hört sich jetzt sehr all­ge­mein an, ist aber doch im All­tag oft schwie­rig, gera­de für Frau­en, die es ja gewohnt sind, mit vie­len Bäl­len zu balan­cie­ren.

Für alle Men­schen, aber beson­ders auch für Frau­en in den Wech­sel­jah­ren, ist es auch wich­tig, ihre Ener­gien zu pfle­gen. Z.B. dar­auf zu ach­ten, dass sie genü­gend schla­fen, zur Ruhe kom­men. Ruhe­zei­ten sind wich­tig, aber auch geziel­te Aus­zei­ten. Dann geht es auch um die Ein­stel­lung, das Kli­mak­te­ri­um nicht als Krank­heit zu betrach­ten, son­dern als Anstoß zum Über­gang in eine neue Pha­se, die geprägt ist von Rei­fe und tie­fer inne­rer Weis­heit. Das wird auch in Chi­na deut­lich, wo die Frau­en und die Gesell­schaft die Wech­sel­jah­re anders wahr­neh­men. Eben nicht als Krank­heit , son­dern als Über­gang in eine Zeit, die eher damit zu tun hat, sich selbst zu fin­den, sich selbst wert­zu­schät­zen und das Leuch­ten von innen zu beto­nen.

Nun gibt es Frauen, die sicher gerne von innen leuchten würden, aber sehr unter den Beschwerden leiden. Ihnen empfiehlt man häufig eine Hormonersatztherapie. Wie passt das in die traditionelle chinesische Medizin?

Wenn man auf die Men­ge der Frau­en schaut, dann zeigt sich: nicht alle sind mit Wech­sel­jah­res­be­schwer­den kon­fron­tiert. Man spricht da häu­fig von einem Drit­tel, das kei­ne Beschwer­den hat, ein wei­te­res Drit­tel, bei dem sich die Beschwer­den nur leicht äußern. Nur ein Drit­tel der Frau­en lei­det stark unter den Wech­sel­jahrs­be­schwer­den und ‑sym­pto­men. Es kann sein, dass Frau­en, mit dem was noch da ist an Ener­gie und Hor­mo­nen, durch­aus zurecht­kom­men bzw. nur eine ganz gerin­ge Men­ge an Ergän­zung brau­chen. In den Augen der TCM hängt das stark davon ab, wie die Frau in den Jah­ren davor mit ihrem Ener­gie­haus­halt umge­gan­gen ist. Wel­che Stür­me hat sie erlebt, wie vie­le Ener­gien muss­te sie las­sen, wo sind Ener­gien auf der Stre­cke geblie­ben. Schul­me­di­zi­nisch geht es in den Wech­sel­jah­ren ja eher um die Hor­mon­ab­nah­me. In der TCM ist es eine ande­re Sicht, hier geht es um die Ener­gien. Das heißt aber nicht, dass sich TCM und eine Hor­mon­the­ra­pie im Weg ste­hen. Ich möch­te beto­nen, dass es zwei völ­lig unter­schied­li­che The­ra­pien sind, die aber neben­ein­an­der ange­wandt wer­den kön­nen.

Du bist eine überzeugte TCM-Therapeutin. Was begeistert dich daran?

Mich fas­zi­niert die TCM sehr, weil sie mir den Blick auf den Men­schen eröff­net hat. Die klas­si­schen schul­me­di­zi­ni­schen Aus­bil­dung hat ihre Vor­zü­ge und abso­lu­ten Vor­tei­le. Aber wir haben dort aus ver­schie­dends­ten Grün­den nicht die Zeit und Mög­lich­kei­ten, den Men­schen dort abzu­ho­len, wo er ist. Genau das erlaubt die TCM: den gan­zen Men­schen zu betrach­ten und tief ein­zu­tau­chen in die eige­ne Welt eines jeden Men­schen. Und so erfolg­reich zu hel­fen.

Wenn sich jemand als Laie mehr in die TCM vertiefen möchte, welche Quellen empfiehlst Du?

Alle Dach­ver­bän­de sind gute Anlauf­stel­len für seriö­se Infor­ma­tio­nen. Ich selbst bin Mit­glied bei der Inter­na­tio­na­len Gesell­schaft für chi­ne­si­sche Medi­zin e.V., kurz SMS (Socie­tas medi­cinae sinen­sis).

Autorin

  • Britta Scholten

    Wech­sel­jah­re­be­ra­te­rin, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­ra­te­rin, Lösungs­ori­en­tier­ter Coach, Psy­cho­lo­gi­sche Bera­te­rin.
    Vor­stands­mit­glied DVW e.V.
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